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Estland

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Besonderheiten für das Forderungsmanagement

Estland ist seit 1.10.1994 Vertragsstaat des UN-Übereinkommens vom 11.4.1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG). Dieses Übereinkommen ist damit estnisches Primärstatut für grenzüberschreitende Warenkaufverträge. In der CISG nicht geregelte Fragen werden nach deren Grundsätzen gelöst, erst danach kommt das national gesetzte Recht für eine Lückenfüllung in Frage. Artikel 6 CISG eröffnet den Vertragsparteien einen weiten Gestaltungsspielraum – bis hin zur teilweisen oder gänzlichen vertraglichen Abbedingung der CISG beziehungsweise bis zur Abweichung von deren Vorschriften. Estland hat am 9.3.2004 den ursprünglich bei der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde nach Art. 96 CISG erklärten Schriftformvorbehalt zurückgezogen. Folglich können Kaufverträge unter der Geltung der CISG seither mit estnischen Vertragsparteien formfrei abgeschlossen, geändert und aufgehoben werden.

Für Estland gelten folgende einschlägige EG-Verordnungen unmittelbar: Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, Nr. 44/2001 über die gerichtliche Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, Nr. 1358/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten. Zuständige Empfangs- und Zentralstelle für gerichtliche Zustellungen in Zivil- und Handelssachen ist in Estland das Justizministerium. Das Formblatt zur EG-ZustellungsVO kann in Estnisch oder Englisch ausgefüllt werden. Die Zustellung von Schriftstücken ist durch diplomatische oder konsularische Vertretungen beziehungsweise postalisch mit internationalem Rückschein möglich. Der estnische Empfänger kann die Annahme von nicht in Estnisch abgefassten Schriftstücken verweigern. Zu beachten ist, dass Estland eine unmittelbare Zustellung auf seinem Hoheitsgebiet nicht zulässt.

Weitere Informationen

Das estnische Gerichtssystem ist dreistufig gegliedert. Seine Grundzüge sind in der Verfassung niedergelegt und ausgehend davon (§ 149) durch das Gesetz über die Gerichte vom 29.7.2002 in der Fassung vom 15.3.2006 ausgestaltet worden. Es besteht hiernach aus: den Kreis-/Stadtgerichten, Verwaltungsgerichten, Bezirksgerichten und dem Staatsgerichtshof (Oberstes Gericht). Eingangsgerichte in Zivil- und Strafsachen sind die Kreisgerichte (county courts). Die Bezirksgerichte in Tallinn, Tartu und im Bezirk Viru (Stadt Johvi) bilden die Berufungsinstanz. Der in Tartu ansässige, an der Spitze des Gerichtssystems stehende Staatsgerichtshof ist Kassationsinstanz in Zivil-, Straf- und Verwaltungsangelegenheiten und zugleich für Verfassungsklagen zuständig.

In Zivilsachen ist Anwaltszwang lediglich vor dem Staatsgerichtshof zu beachten. Aufgrund von § 3 des Rechtsanwaltsgesetzes (RAG) vom 17.1.2000 in der geänderten Fassung vom 26.1.2006 ist die territoriale Zuständigkeit eines Rechtsanwalts (RA) identisch mit dem Bezirk des jeweiligen Kreis- beziehungsweise Stadtgerichts, wobei der Justizminister mehrere Bezirke zu einem Gerichtsbezirk zusammenfassen und diesen nur einem RA zuweisen kann. Für seine Leistungen darf ein RA Gebühren nach dem RAG verlangen, die sich aus einer Grundgebühr nach dem Streitwert und einer Klagegebühr (zuzüglich MwSt.) zusammensetzen (§§ 22, 242, 2511 RAG). Die Tabelle der nach Streitwert bemessenen Grundgebühr ergibt sich aus § 2512 RAG. Der Zivilprozess richtet sich nach dem neuen Zivilverfahrensgesetzbuch (ZPO, „Riigi Teataja“ 2005 I Nr. 49 Pos. 395), das die Vorgängerregelung vom 22.4.1998 ersetzt hat.

Neben dem Rechtsweg in Estland können EU-Parteien für streitige Zivil- und Handelssachen, abgesehen von den ausschließlichen Gerichtsständen, auch einen anderen EU-Gerichtsstand gemäß Art. 23 EuGVVO vereinbaren. Gerichtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaates werden in Estland grundsätzlich ohne besonderes (d.h. förmliches) Anerkennungsverfahren anerkannt (Art. 33 EuGVVO; Art. 619, 620 ZPO). Entsprechende rechtskräftige Entscheidungen sind auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom Gericht am Wohn- beziehungsweise Verwaltungssitz des Schuldners oder am Ort der Zwangsvollstreckung in Estland für vollstreckbar zu erklären und zur Zwangsvollstreckung zuzulassen (Art. 38, 39 EuGVVO; Art. 121, 621-626 ZPO).

Im Exequaturverfahren ist der Antragsgegner zu hören. Das autonome Zivilprozessrecht bindet die Anerkennung/Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel nicht mehr an das Vorliegen eines einschlägigen völkerrechtlichen Vertrags.

Hinweis

Oben genannte Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und können anwaltliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen. Eine Garantie kann nicht übernommen werden, jedwede Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.